DREI

[Montag, 23.03.2020] Nacht sehr mäßig. Gestern Abend zum ersten Mal seit ewigen Zeiten vergessen, die Medikamente für den nächsten Tag auf den Küchentisch zu stellen. Heute nur bis zur Mülltonne raus gekommen.

[Dienstag, 24.03.2020] Nacht sehr mäßig. Träume und wache Ängste kaum noch zu trennen. Den ganzen Tag am Rechner. Nichts auf die Reihe gekriegt.

[Mittwoch, 25.03.2020] Nacht vertretbar. Heute wäre Tante Fränz 120 Jahre alt geworden. Sie starb einen Tag nach ihrem 86sten Geburtstag. Im Vorfeld ihres Geburtstages gab sie uns zu verstehen, wenn ihr mir einen Gefallen tun wollt, kommt nicht, lasst mich in Ruhe. Bei ihrer Beerdigung bedauerte unsere Cousine L. »Einen Tag bevor sie gestorben ist, waren wir alle noch mal bei ihr. Schade, dass ihr nicht da wart, da hättet ihr sie nochmal sehen können.« Es war beruhigend, Tante Fränz einen ihrer letzten Wünsche erfüllt zu haben.

Den ganzen Tag am Rechner.

Ich recherchiere »Basiläre Impression« und »Klippel – Feil – Syndrom«.

Bei Xanthippe Bücher bestellt. Viktor Frankl – trotzdem Ja zum Leben sagen und Olaf Georg Klein – Tagebuch schreiben.

[Donnerstag, 26.03.2020] 4 Uhr Nackenschmerzen, leichte Übelkeit, Tinnitus Lärm links. Heftige Unruhe. Kriege nicht zusammen, wie die beiden französischen Neurologen heißen, die ich gestern recherchiert habe. Der Katze werde ich zu hektisch, sie verlässt das Bett, und auch die Wohnung sie geht auf Tour. Über die Nacht sage ich gar nichts. Von 4 -8 Uhr nur gedöst, keinen Unterschied zwischen wach sein und schlafen registriert. Unruhe pur.

Vormittag am Rechner. Nachmittag. M. und J. waren für mich einkaufen; die beiden sind ein tolles Team. Die Katzensand Vorräte sind aufgefüllt. Es kann wieder gepisst, geschissen und gescharrt werden.

Freitag, 27.03.2020] Nacht halbwegs vertretbar. Die Pfote schmerzt, kann Bleistift kaum halten. Auf Symptome achten. In den Körper hinein hören. Seine Position bestimmen. Stehen, sitzen, liegen – laufen, springen, hüpfen – Fahrrad fahren. Auf die Fresse fliegen gehört nicht hierher; denn da kann ich die Position nicht selbst bestimmen.

Backwahn furzt.

Ich recherchiere auch bei academia.edu; die Algorithmen dort haben mich fest im Griff. Per E-Mail wird mir zur Lektüre empfohlen:

Der Blick auf den ‚gebrechenhaften’ Körper in autobiographischen und familiengeschichtlichen Aufzeichnungen des 15. und 16. Jahrhunderts, in: (De)-formierte Körper, Bd. 2: Die Wahrnehmung und das Andere im Mittelalter

Es ist schon praktisch bei Recherchen nicht mit dem eigenen Klarnamen unterwegs zu sein.

Nachmittags eine halbe Stunde mit dem Hund draußen in der Sonne; M. ihre Einkauftasche zurück gebracht. Meine Fresse ist total ausgetrocknet. Am Abend hundemüde. Der Stress der letzten Tage im Kopf schlägt zurück. Die Schokoladen Dosis war zu hoch. Iberogast Prophylaxe.

[Samstag, 28.03.2020] 4:40 Uhr aufgewacht. Wie nennt man einen Traum, der die realen Ängste des Tages eins zu eins wiedergibt?

In der pneumologischen Ambulanz im Krankenhaus. Habe einen Termin um 9 Uhr. Nach der Anmeldung sitze ich im Wartebereich. Gähnende Leere, niemand außer mir da. Ab und an läuft Personal in blauer Krankenhauskleidung vorbei. Ohne Hektik.
Gegen halb eins erklärt mir die Krankenschwester, Mittagspause bis 14 Uhr. Gegen 17 Uhr schicken sie mich nach Hause mit Termin am nächsten Tag um die gleiche Zeit.

Am nächsten Tag das gleiche Spiel.

Am dritten Tag kommt am späten Nachmittag ein Arzt drückt mir einen Merkzettel in die Hand mit Hinweisen, welche technischen Hilfsmittel es zur Unterstützung der Atmung gibt.
Keine Untersuchungen nichts.
»Gehen Sie nach Hause, atmen Sie normal weiter. Wenn es nicht mehr geht, kommen sie wieder. Vielleicht schlafen sie ja auch einfach ganz ruhig ein.«

So starb unser Opa, schrieb mir meine Schwester am Sonntag. »Mir ist gerade eingefallen, dass ich als Einzige als Kind beim Tod von Opa dabei war. Er hatte Lungenentzündung. Die Lunge füllte sich langsam mit Wasser, was ein rasselndes Geräusch verursachte. Er schlief dabei ruhig. Dann wurde das Rasseln stärker und die Atmung flacher. Schließlich hat er einfach aufgehört zu atmen. Der Unterschied war für mich nur zu erkennen, weil das Rasseln aufhörte und ich deshalb Oma gerufen habe.«

Eine »Atemschutzmaske« bestellt; Baumwolle, kein medizinisches Produkt. Hält mich lediglich davon ab, andere anzuspucken. Habe noch sechs richtige Schutzmasken, die den FFP2 Standard erfüllen. Für den Notfall in Reserve.

Bei der Corvinus Presse die »Volksausgabe« von Petrus Akkordeon bestellt.

Bei Amazon einen tragbaren Kassettenspieler, den ich als Walkman verwenden und Kassetten auch digitalisieren kann. Ich will mein Atemtraining wieder aufnehmen »Übungen zur Stärkung deiner Vitalität und persönlichen Kraft«. Sind auf einer uralten Kassette, die ich nirgendwo mehr abspielen kann. Ich habe das früher schon über Monate hinweg regelmäßig durchgehalten jeden Morgen zwanzig Minuten lang.

[Sonntag, 29.03.2020] Sommerzeit beginnt. Nacht vertretbar.

Realität schlägt wieder auf den Traum durch.

Im Morgengrauen, es wird gerade hell, zieht eine Feuerwehrkapelle durch die völlig leere Straße und spielt »When the Saints Go Marching In«. In größerem Abstand hinterher fährt ein dunkelblauer Wasserwerfer. Er spritzt mit kräftigem Strahl Straße und Bürgersteige frei. Direkt danach eine Gruppe von acht bis zehn Gestalten in orangefarbenen Schutzanzügen und Helmen; sie sprühen Desinfektionsmittel auf die Bürgersteige und die Hauswände bis zur ersten Etage. Ihr Gesang klingt scheppernd wie aus einer Blechbüchse. »Lord, how I want to be in that number, when the Saints go marching in.«

Backwahn furzt.

Die Kids lernen seit die Schule zu ist in der zweiten Woche zu Hause am Laptop. Es gibt für drei Kinder aber nur zwei Geräte. Aus dem Keller meinen alten Dell Inspirion geholt, Updates installiert und eingerichtet. Jetzt können alle drei unabhängig voneinander lernen.