Mut: Von Aristoteles bis zur modernen Psychologie

Lieber Max,

Du weißt, was ein Wutausbruch ist? Das ist für alle Beteiligte nicht angenehm. Es gibt auch den »Mutausbruch«; der ist weitaus seltener. Zum Beispiel, wenn jemand aus seiner Komfortzone ausbricht oder mutig handelt, um etwas Neues zu wagen. Solche persönlichen »Mutausbrüche« können bedeuten, Risiken einzugehen, Ängste zu überwinden oder sich für Veränderungen zu entscheiden. Aber dafür musst Du nicht gleich von einem Felsen aus ins Wasser springen.

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Mut ist eine der sechs Grundtugenden, die laut den amerikanischen Psychologen Christopher Peterson und Martin Seligman in allen religiösen und philosophischen Traditionen präsent sind. Die psychologische Forschung hat erst kürzlich begonnen, genauer zu untersuchen, was Mut bedeutet und unter welchen Umständen Menschen mutig handeln. Die Definitionen von Mut haben sich im Laufe der Zeit verändert und sind auch heute vielfältig.

Die Wiener Psychotherapeutin Rotraud Perner kritisiert, dass der Begriff »Mut« oft als Mittel zur Manipulation verwendet wird, um Gehorsam zu erzwingen. Sie betont, dass wahre Tapferkeit darin besteht, »Nein« zu sagen, anstatt gefährliche Mutproben zu bestehen, die letztendlich Unterwerfungstests sind. Es ist wichtig zu erkennen, dass der Begriff »Mut« auch verzerrt interpretiert und dargestellt werden kann.

Aristoteles definierte Mut als die Fähigkeit, sich aus den richtigen Gründen und zur richtigen Zeit den richtigen Dingen zu stellen, während das Gewissen rein bleibt. Diese Definition umfasst drei wesentliche Bestandteile von Mut: ein Risiko, eine angemessene Handlung und ein Ziel.

Christopher Rate von der Universität Yale formulierte 2010 eine umfassendere Erklärung, die Mut in verschiedene Kategorien unterteilt. Mut beinhaltet eine bewusste Handlung trotz Risikos, um ein edles oder lohnendes Ziel zu verfolgen. Dabei kann das subjektive Gefühl der Bedrohung Angst hervorrufen oder auch nicht, aber der Handelnde ist sich des Risikos bewusst.

Moralischer Mut, auch als Zivilcourage bekannt, beinhaltet das öffentliche Eintreten für eigene Werte und das Risiko sozialer Ächtung. Ein berühmtes Beispiel hierfür ist das Verhalten von Rosa Parks, die sich 1955 weigerte, ihren Platz im Bus für einen weißen Fahrgast zu räumen. Psychologischer Mut zeigt sich im Durchhaltevermögen, beispielsweise bei chronischen Erkrankungen. Vitaler Mut bezieht sich darauf, Lebensmut und Optimismus in schwierigen Situationen aufrechtzuerhalten.

Mut besteht aus einer Persönlichkeits- und einer Motivationskomponente. Während einige Menschen von Natur aus risikoscheu sind, können alle Menschen unabhängig von Alter, Geschlecht und Persönlichkeit lernen, mutiger zu sein. Mut wird als Geisteshaltung und Charaktereigenschaft betrachtet, die jeder entwickeln sollte, um persönlich zu wachsen und neue Wege zu beschreiten.

Mutige Menschen haben weniger körperliche Beschwerden und es lohnt sich, Mut zu üben. Cynthia Pury, Mutforscherin, erklärt, dass sich Mut durch schrittweises Überwinden von Ängsten entwickelt. Es ist wichtig, sich auf das Ziel zu konzentrieren und sich intensiv auf die Situation vorzubereiten, um mehr Mut zu zeigen.

Körperbeherrschung ist laut Rotraud Perner eine wesentliche Voraussetzung für mutiges Handeln. Mutige Menschen haben gelernt, mit innerer Ruhe ihr Potenzial zu entfalten und können in unerwarteten Situationen schnell und effektiv reagieren.

In einer Zeit, in der viele Eltern überängstlich sind, ist es wichtig, mutige Menschen zu fördern, die gegen den Strom schwimmen. Mutige Handlungen können positive Auswirkungen auf das eigene Leben und das Leben anderer haben.

Die Bedeutung von Mut erstreckt sich über alle Altersgruppen. Forscher haben unterschiedliche Ansichten darüber, wie das Alter die Risikobereitschaft beeinflusst, aber es ist klar, dass Mut eine wichtige Eigenschaft ist, die es zu entwickeln gilt, um ein erfülltes und lebendiges Leben zu führen.

Forscher der Yale-Universität haben herausgefunden, dass risikoscheue Menschen ein geringeres Volumen einer grauen Substanz im Parietallappen des Gehirns aufweisen als risikofreudige. Diese Substanz nimmt mit dem Alter ab. Die Wissenschaftler sehen darin einen Grund, warum Ältere weniger Mut zeigen. Sie sind demnach nicht weiser, sondern haben begrenzte neuronale »Rechenkapazitäten«, um die Risiken einer Entscheidung abzuwägen.

Andere Forscher gehen davon aus, dass Ältere im Gegenteil risikobereit sind. Sie verspürten weniger negative Affekte, sie seien tendenziell zufriedener und hätten weniger Angst vor den Folgen ihrer Entscheidungen.

Forscher der Claremont Graduate University in Kalifornien fanden in einer Studie indes gar keine altersbedingten Unterschiede in der Tendenz zu riskanten Entscheidungen.

Lieber Max, ich weiß nicht zu welcher Gruppe von den Alten ich mich rechnen soll. Aber manchmal, so glaube ich, täte uns beiden so ein »Mutanfall« richtig gut.