Im Jahr 1860, zu Beginn des Bürgerkriegs, schloss der Neuengländer Edward Payson Weston mit einem Freund eine scherzhafte Wette ab. Falls Lincoln die Präsidentschaftswahlen gewinnen würde, versprach Weston, in zehn Tagen vom State House in Boston bis zum unvollendeten Kapitol in Washington zu laufen. Weston verlor die Wette und erhielt für seinen Einsatz eine Tüte Erdnüsse.
Lincoln gewann und zehn Tage vor seiner Amtseinführung machte sich Weston auf den Weg. Obwohl er nicht ganz rechtzeitig ankam, begeisterte sein Weg die Nation, die nach etwas Unterhaltung suchte. Die Zeitungen berichteten darüber und Weston wurde zu einem unerwarteten amerikanischen Helden, einer Art Lindbergh der Hühneraugen. Er erhielt sogar einen Händedruck vom neuen Präsidenten, der ihn zu weiteren Laufaktionen inspirierte.
Weston genoss seine neue Berühmtheit und das damit verbundene Geld. Er beschloss, seine Erfolge fortzusetzen. Nach Kriegsende nahm er an sechstägigen Marathonläufen in Chicago, New York und schließlich auch in London teil.
Während der nächsten zwei Jahrzehnte war Laufen der dominierende Zuschauersport in Amerika und Weston seine zentrale Figur. Er hatte den Einfallsreichtum, sich ein einzigartiges und einheitliches Kostüm zuzulegen, eine Gentleman-Kleidung aus Jagdhose, Stiefeln und Reitgerte. Mit der Zeit entwickelte sich ein armer irischer Einwanderer in Amerika, Daniel O’Leary, zu seinem stilistischen Gegenspieler und damit zu seinem großen Rivalen. Gemeinsam veranstalteten sie über die Jahre lange Laufwettbewerbe in mehreren Großstädten, symbolische Klassenwettbewerbe, Einwanderer gegen Einheimische.
Die Begeisterung der Arbeiterklasse für die Wettkämpfe war so groß, dass Hallenstadien benötigt wurden. In New York wurde das römische Hippodrom von P. T. Barnum in den zwanziger Jahren zunächst mit einem Zelt und bald darauf mit einem richtigen Dach überdacht, um die Marathonläufe vorzuführen. Barnum schuf nicht nur das erste Sechstagerennen, er leitete auch die amerikanische Ära professioneller »Fußgängerinnen« ein, auch »Pedestriennes« genannt.
Der Sport war erstaunlich offen für Talente. Es gab afroamerikanische Läufer – ein gewisser Frank Hart, der ein Schützling von O’Leary war und deshalb Black Dan genannt wurde – und es gab sogar legendäre Läuferinnen wie Ada Anderson, die in Wales trainierte und dann mit dem Boot nach Amerika fuhr, um für Geld zu laufen.
Das historische Rennen: Mann gegen Frau wurde am 29. März 1875 um 12:06 Uhr auf derselben Strecke im Hippodrom ausgetragen, auf der auch das erste von Weston gewonnene Sechstagerennen stattfand. M’lle Lola »The Aerial Wonder« , eine Turnerin und Trapezkünstlerin, die ihre Künste seit etwa einem Jahr im Bowery Opera House in New York City aufführte, trat an gegen William E. Harding aus New York. Er war Herausgeber der »National Police Gazette«. Das Rennen dauerte den ganzen Tag, musste jedoch während des »Blaubart«-Umzugs vorübergehend unterbrochen werden. Harding sollte 50 Meilen laufen und Lola 30.
Der New York Daily Herald berichtete: »Die junge Dame ist keine Anfängerin in der Arbeit und geht in guter Form. Sie ist schlank gebaut, scheint aber über eine gute Ausdauer zu verfügen. Sie trug weiße, blaue Kniebundhosen, blau-weiß gestreifte Strümpfe und hohe, feste Schuhe. Auf der Rückseite ihres locker wallenden Haars saß ein keck aussehender Matrosenhut und in ihren Händen trug sie eine leichte Reitpeitsche. Die Band stimmte eine lebhafte Melodie an und Harding wirbelte mit einem tollen Tempo über die Strecke, und auch die kleine Lola kam gut voran.«
Lola erreichte 25 Meilen in 8:18, während Harding etwa 40 Meilen erreichte. Lola beschleunigte auf eine 12-Minuten-Meile und beendete ihre 30 Meilen in 9:59, um den Sieg zu erringen. Harding beendete seine 50 Meilen in 10:49:57. Trotz seines 31-minütigen Vorsprungs überquerte Lola ihre Ziellinie etwa 18 Minuten vor Harding. (siehe: Sechstagerennen Teil 5: Daniel O’Leary (1875) )
Läufer waren die ersten Sportstars der Massenkultur: Als eine Tabakfirma Sammelkarten in Zigarettenschachteln einlegte, waren auf den Karten Bilder der Läufer zu sehen.
Wie erklärt sich die Beliebtheit des Zuschauens beim tagelangen Laufen? Es gibt die Vermutung, dass das Laufen deshalb so beliebt war, weil es für die Arbeiterklasse nichts anderes gab, was sie sich leisten konnte zu besuchen.
In den späten siebziger Jahren bekam das Laufen heftigen Gegenwind, vor allem von New Yorker Predigern, die es als »Gladiatorensport« verdonnerten. Bald gab es ein Gesetz, das immer noch in Kraft ist und sechstägige Laufmarathons verbietet.
Die Wettbewerbe, so stellt man fest, waren nicht mehr wirklich Laufwettbewerbe. Meistens waren oder wurden sie etwas Grausameres. Es waren Wettbewerbe im Nicht-Schlafen. Die Fähigkeit, gut zu laufen – Westons merkwürdigen großen Schritt oder O’Learys richtigen leichten Schritt zu haben – war der brutaleren Fähigkeit gewichen, einfach sechs Tage lang wach zu bleiben. Weston gab schließlich zu, während des Rennens Kokablätter gekaut zu haben, obwohl er vehement bestritt, dass die Droge wirklich half. Die Zuschauer kamen nicht, um die Läufer laufen zu sehen. Sie waren gekommen, um sie fallen zu sehen.
Weston ereilte ein trauriges Schicksal. Er wurde schwer verletzt, als er 1927 in New York City von einem Taxi angefahren wurde. Er konnte danach nie wieder laufen.