Klippel und Feil(e) Tl.5

Etwa ein Drittel bis zur Häfte der Klippel-Feil-Patienten leiden an Taubheit oder zumindest an verminderter Hörfähigkeit auf einem oder beiden Ohren. Die Ursache der Schwerhörigkeit ist meist im Innenohr zu finden. Denn dort werden Sinneseindrücke verarbeitet und ans zentrale Nervensystem weitergeleitet.

[…] Ein gesunder Hörsinn führt über die akustische Wahrnehmung zu einer umfassenden und korrekten eigenen Orientierung im Raum. Die Nähe und Distanz des eigenen Körpers zu statischen oder sich bewegenden anderen Körpern in der gesamten nahen und weiten Umgebung muss über den Hörsinn geortet und nahezu gleichzeitig im Gehirn berechnet und zugeortet, das heißt im Raum positioniert werden. Damit werden die eigene Position, der eigene Standpunkt im dreidimensionalen Raum und die zeitliche Zuordnung möglichst präzise definiert.1

Heute ist es auf den Tag genau ein Jahr her, dass mein Hörgeräte-Akustiker, ein einfühlsamer, freundlicher und überaus kompetenter Mensch, meinen beiden Hörgeräten den letzten Feinschliff in der Anpassung auf meine Bedürfnisse verpasst hat. Zeit für eine Bilanz.

Es gibt Studien, die zeigen, Hörgeräteträger entscheiden bereits in den ersten Wochen nach der Anpassung ob, wann und wie lange sie die Hörgeräte tragen. Die Tragedauer ist an individuelle Unterschiede geknüpft. Die tägliche Hörgerätenutzung schwankt zwischen 26 und 960 Minuten; 15 Prozent der Befragten gaben an, ihr Hörgerät weniger als eine Stunde zu tragen 23 Prozent zwischen einer und vier Stunden und 13 Prozent zwischen vier und acht Stunden täglich. Personen mit schwerem Hörverlust nutzen Hörgeräte auch mehr als acht Stunden pro Tag.

Ich habe mich nach etwa zwei Wochen Anlaufschwierigkeiten mit Kopfweh und Stress auf eine Dauernutzung konditioniert. Morgens nach dem Aufstehen werden die Katzen versorgt, das Frühstück gerichtet, geduscht, angezogen und gefrühstückt. Danach werden die Hörgeräte in Betrieb genommen. Diese Reihenfolge ändert sich nur falls jemand anruft und ich ans Telefon gehen muss. Die Hörgeräte bleiben an bis ich abends oder nachts im Bett bin und das Licht zum Schlafen ausschalte. Es sei denn ich lege mich zu einem ausgiebigen Mittagsschlaf hin; dann nehme ich sie raus – es liegt sich nicht besonders darauf.

Das Gehirn analysiert den individuellen Klang der einzelnen Stimmen und konzentriert sich dann auf eine davon. Denn jede Person spricht in einer anderen Tonlage und mit einer anderen Klangfarbe. Auch die Melodie und das Tempo der Sprache verwendet unser Gehirn, um gesprochene Sprache verstehen zu können. Zu diesen Sprecheigenheiten kommen die Lippenbewegungen und die Mimik einer Person, die es uns erlauben, zu verstehen, was jemand sagt – besonders, wenn einzelne Wörter von Lärm in der Umgebung überdeckt werden.

So gelingt das Hören unter erschwerten Bedingungen immer weniger gut. Gleichzeitig können auch Konzentration und Aufmerksamkeit nachlassen. Der natürliche Abbau dieser Fähigkeiten beeinträchtige das Sprachverstehen zusätzlich. Wenn das Hören immer schwieriger wird, ziehen sich viele Menschen aus dem sozialen Leben zurück2. Ich bin kein »Party – Löwe«; aber verstehen, was die Leute um mich herum sagen, würde ich schon gerne.

Forscher von der University of Toronto in Ontario, Kanada untersuchten die Hirnaktivität von sechzehn jungen Erwachsenen zwischen 21 und 34 Jahren und sechzehn älteren Menschen zwischen 65 und 75 Jahren. Während diese im Magnetresonanztomografen lagen, sollten sie Phoneme wie «ba», «ma», «ta» und «da» unterscheiden, und dies bei verschieden starken Störgeräuschen.

Dabei hatten die älteren Menschen bei leichten Störgeräuschen mehr Mühe, die Silben auseinanderzuhalten. Gleichzeitig waren die Aktivitätsmuster, die diese in bestimmten Hirnregionen verursachten, weniger gut unterscheidbar als bei den jungen Erwachsenen: In den Regionen, in denen vor allem Signale aus dem Ohr verarbeitet werden (Hörareale), erzeugten sie ein weniger spezifisches Signal.

Dafür nahm aber die Aktivität in jenen Hirnarealen zu, die bei der Artikulation von Sprache involviert sind. Je stärker diese Sprechareale in der vorderen Hirnrinde aktiv waren, desto besser konnten die Senioren die Phoneme unterscheiden. Bei den jungen Menschen wurden diese Areale dagegen erst bei starken Störgeräuschen hinzugezogen. Die Forscher nehmen daher an, dass es sich um eine Kompensationsleistung des Gehirns handelt. Auch andere Studien zeigten, dass Menschen mit schlechterem Gehör auf weitere Ressourcen im Gehirn zurückgreifen müssten, um die gleichen Aufgaben wie ihre gut hörenden Mitmenschen bewältigen zu können. 3

Für mich bedeutet das größere Anstrengungen, die Konzentration erfordern. Ich höre nun aber auch Dinge, die ich vorher nicht gehört habe. Dann muss ich das Kind fragen, was es ist; ich kann die Geräusche nicht zuordnen. Die Vorteile der Hörgeräte überwiegen; die zusätzlichen Stresssituationen sind nicht zu unterschätzen.

Siehe auch https://struktur-und-widerstand.org/kw-02-2021/1130

Literatur und Quellen

1Stucki, Anton Verfasser und Julien Designer Gründisch: „Besser hören – leichter leben. wie Sie Ihre natürliche Hörfähigkeit wiederherstellen“, S. 23.

2vergleiche Geiser, Eveline: „Stimmengewirr überfordert ältere Ohren“, in: Neue Zür. Ztg. (2022), https://www.nzz.ch/wissenschaft/wenn-man-sich-im-restaurant-nicht-mehr-unterhalten-kann-ld.1666468.

3vergleiche Stallmach, Lena: „Wie alte Menschen trotz Lärm einem Gespräch folgen | NZZ“, in: Neue Zür. Ztg. (2016), https://www.nzz.ch/wissenschaft/medizin/schwerhoerigkeit-wie-alte-menschen-trotz-laerm-einem-gespraech-folgen-ld.109105 (abgerufen am 01.02.2022).

Scharlach Epidemie in den USA und Europa

Nicht immer nur an COVID-19 denken. Es ist noch gar nicht so lange her, dass Scharlach Ausbrüche in Europa und den USA zu landesweiten Schutzmaßnahmen und Quarantäne führten. In England liegt die letzte Epidemie mit nationaler Tragweite wenige Jahre zurück, auch 2009 kam es zu epidemischen Ausbrüchen.

Patti Smith schrieb in »Just Kids« über ihre Erkrankung.

Stephanies Zustand hatte sich verschlechtert, und mein Vater und meine Mutter meldeten sich im Krankenhaus, um Blut zu spenden. Als sie zurückkamen, weinte mein Vater, und meine Mutter kniete sich neben mich, um mir zu sagen, dass Stephanie gestorben war. Ihre Trauer schlug schnell in Besorgnis um, als sie meine Stirn fühlte. Ich glühte im Fieber.
Unsere Wohnung wurde unter Quarantäne gestellt. Ich hatte Scharlach. In den Fünfzigern war diese Krankheit sehr gefürchtet, weil sie ein tödliches rheumatisches Fieber nach sich ziehen konnte. Unsere Wohnungstür wurde gelb angestrichen. Ich war ans Bett gefesselt und konnte nicht zu Stephanies Beerdigung gehen.1

Ursache der Scharlach-Epidemie in England bleibt ein Rätsel in »ContagionLive« am 2. Dezember 2017 schreibt: Einav Keet:

England erlebt die größte Scharlach-Epidemie seit 1967, aber die Ursache der Epidemie bleibt unbekannt.

Das Scharlachfieber, das Mitte des neunzehnten Jahrhunderts in England und Wales weit verbreitet war, ist in letzter Zeit in England wieder aufgetreten. In einer neuen Studie haben Forscher von Public Health England nun versucht, die Ursache für den größten Anstieg der Scharlachfälle in England seit mehreren Jahrzehnten herauszufinden.

Scharlach ist eine Krankheit, die durch Streptococcus pyogenes-Bakterien oder Streptokokken der Gruppe A verursacht wird und ihren Namen von dem verräterischen roten Ausschlag hat, der häufig als Folge der Infektion auftritt. Zu den weiteren Symptomen gehören stark gerötete Halsschmerzen, hohes Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen, eine rote und beulige Zunge sowie leuchtend rote Haut in den Achsel-, Ellenbogen- und Leistenfalten. Personen, die Streptokokken der Gruppe A in der Nase oder im Rachen haben, können die Bakterien durch Husten und Niesen sowie durch die gemeinsame Benutzung von Trinkgläsern und Essgeschirr verbreiten. Scharlach ist auch durch Kontakt mit Hautwunden und Hautausschlägen ansteckend, kann aber mit Antibiotika behandelt werden.

Mitte des 18. Jahrhunderts verursachten pandemische Ausbrüche von Scharlach in England einen starken Anstieg der Sterblichkeit. Durch die Verbesserung der Hygiene und die Entwicklung von Antibiotika ist Scharlach seitdem zu einer viel selteneren und besser behandelbaren Infektionskrankheit geworden. Von 1999 bis 2013 traten in England zwischen 3 und 8 Fälle von Scharlach pro 100 000 Personen auf, was 1 600 bis 4 700 Fällen pro Jahr entspricht. Seit 2014 erlebt das Land nach Angaben des Nationalen Gesundheitsdienstes (NHS) jedoch das größte Wiederauftreten von Scharlach seit 50 Jahren. Anfang des Jahres wurde in England ein Höchststand von 1.075 Fällen in nur einer Woche verzeichnet, und bis zum Ende des Jahres wurden 15.637 Fälle gemeldet. In einer neuen Studie versuchen Forscher von Public Health England (PHE) nun herauszufinden, warum das so ist.

In der neuen Studie, die in der Fachzeitschrift The Lancet Infectious Diseases veröffentlicht wurde, schreiben die Autoren, dass sich die Erkrankungsrate in England von 2013 bis 2014 auf mehr als 27 Fälle pro 100.000 Personen verdreifacht hat, wobei 87 % dieser Fälle bei Kindern unter 10 Jahren auftraten. Im Jahr 2015 stieg die Infektionsrate auf mehr als 30 Fälle pro 100.000 und im Jahr 2016 erneut auf mehr als 33 Fälle pro 100.000. Die 19 206 Fälle von Scharlach, die im vergangenen Jahr in England gemeldet wurden, sind die höchste Zahl von Fällen seit 1967.

Um mögliche Ursachen zu ermitteln, untersuchten die Autoren der Studie klinische und epidemiologische Muster. Nach der Sequenzierung ganzer Genome von klinischen Isolaten fanden sie jedoch keine neue Abstammung oder genetische Besonderheit, die die jüngste Epidemie erklären könnte. Die Forscher konnten auch keine anderen Faktoren ausfindig machen, die zur erhöhten Anfälligkeit der Bevölkerung für Scharlach oder zur Ausbreitung der Krankheit beitragen könnten. Mit anderen Worten: Der Grund für die jüngsten Ausbrüche ist immer noch ein Rätsel.

»Unseres Wissens ist England das erste Land der westlichen Hemisphäre, das nach Berichten aus mehreren ostasiatischen Ländern einen Anstieg der Scharlach-Inzidenz beschreibt«, schreiben die Autoren in ihrer Studie und weisen darauf hin, dass auch in Ländern wie Vietnam, Südkorea, Hongkong und dem chinesischen Festland die Scharlach-Inzidenz in den letzten Jahren zugenommen hat. »Ein Vergleich mit historischen Daten aus dem Vereinigten Königreich zeigte, dass das Ausmaß des jüngsten Anstiegs von Scharlach einzigartig war, was darauf hindeutet, dass das aktuelle Phänomen nicht durch die üblichen zyklischen Muster des Auftretens der Krankheit erklärt werden kann«.

Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass eine noch unbekannte, aber außergewöhnliche Ursache für die jüngsten Scharlachausbrüche verantwortlich ist, und betonen, dass die Gesundheitsbehörden weitere Untersuchungen durchführen müssen, um zu verstehen, warum es zu diesen Ausbrüchen gekommen ist. In der Zwischenzeit hat die PHE kürzlich ihre Leitlinien für den Umgang mit Ausbrüchen in Schulen und Kindergärten aktualisiert, da von den 1.070 Scharlachausbrüchen, die 2015 und 2016 in England auftraten, die meisten Kleinkinder betroffen waren – 710 in Schulen und 336 in Kindergärten. Mit diesem aktualisierten Leitfaden bemüht sich PHE, diese Ausbrüche besser zu kontrollieren und ihre Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit zu minimieren.

Als Prävention wird zur Kontaktvermeidung zu Erkrankten während der potentiellen Ansteckungszeit geraten, bei unvermeidbaren Kontakten zu regelmäßigem Händewaschen mit Seife zur Schmierinfektions-Vermeidung. Eine präventive Behandlung von Kontaktpersonen mit Antibiotika wird nur für an einer Abwehrschwäche oder unter schweren Grundkrankheiten leidenden und somit besonders gefährdeten Menschen empfohlen.

Erkrankte Personen sollten während der ansteckenden Phase den Kontakt mit anderen Personen möglichst einschränken und sich insbesondere beim Husten und Niesen von diesen abwenden. Besonders empfohlen wird, nicht in die Handfläche, sondern in ein Papiertaschentuch o.ä. zu niesen oder zu husten und dieses im Anschluss unmittelbar in einen Abfallbehälter mit Deckel zu entsorgen.

Eine Schutzimpfung gegen Scharlach existiert derzeit nicht. Ein ehemaliges Produkt namens Diphtherie-Scharlach-Impfstoff Behring bestand aus einer Mischung zu gleichen Teilen von Diphtherie-Impfstoff Al. F. T. und Scharlach-Adsorbat-Impfstoff. Am 11.05.1963 wurde ich damit geimpft.

1Smith, Patti Verfasser und Clara Übersetzer Drechsler: „Just Kids. die Geschichte einer Freundschaft“, S. 19.